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Ausländische Ärzte als Kanonenfutter

Von Julian Bernstein, Paris, 22. April 2020 / Dokument als PDF

In Frankreich arbeiten Tausende ausländische Mediziner in ausbeuterischen Verhältnissen.

Der französische Präsident Emmanuel Macron staunte nicht schlecht, als er kürzlich die Uniklinik in Marseille besuchte. Auf dem Gang begegnete er einer Gruppe junger Ärzte und Forscher. Auf Macrons Frage, woher sie denn kämen, antwortete ihm lediglich eine der Anwesenden mit „Lyon“ – der Rest rief „Algerien“, „Burkina Faso“, „Mali“, „Senegal“, „Libyen“, „Marokko“ und „Tunesien“. „Das ist ja schön“, entgegnete Macron verblüfft und bedankte sich danach förmlich für den wichtigen Beitrag, den die jungen Ärzte im Kampf gegen das Coronavirus leisteten. Ein Handyvideo dieser Szene ging kurze Zeit darauf viral. Auch maghrebinische Medien griffen den Vorfall auf, der durchaus ein Schlaglicht auf die Zusammensetzung des Personals in den französischen Kliniken wirft.

Französische Krankenhäuser beschäftigen derzeit 4000 bis 5000 Ärzte, die ihr Diplom in einem nicht-europäischen Staat erworben haben, unter speziellen Bedingungen. Die meisten von ihnen stammen aus den früheren französischen Kolonien in Nordafrika, aus Tunesien, Algerien und Marokko. Die Krankenhäuser in Frankreich sind dringend auf diese Mediziner angewiesen, in einigen Abteilungen stellen sie gar die Mehrheit. Mathias Wargon, Chef der Notaufnahme im Krankenhaus Delafontaine in Saint-Denis, sagte kürzlich der Tageszeitung Le Monde, dass von 18 Ärzten in seiner Abteilung 15 ein außereuropäisches Diplom hätten. Viele dieser Ärzte machten in seinen Augen „den Job, den französische Ärzte nicht machen wollen“ – darunter etwa die unbeliebten Nachtdienste in den Notaufnahmen. Die Bedeutung der nicht-europäischen Ärzte für Frankreich steht dabei im krassen Missverhältnis zu ihrer Bezahlung. Denn rechtlich sind sie, obwohl in ihren Heimatländern voll ausgebildet, Medizinstudenten gleichgestellt. Viele arbeiten daher gerade einmal für im Schnitt 1500 Euro netto. Um den gleichen Status ihrer französischen Kollegen zu erreichen, müssen sie zunächst ein äußerst selektives Prüfverfahren durchlaufen. Selbst bei exzellenten Ergebnissen ist das Bestehen keinesfalls sicher, da letztlich Quoten entscheiden, wie viele Teilnehmer weiterkommen. Wer das Glück hat, es dennoch geschafft zu haben, der muss seine ärztlichen Fähigkeiten in mindestens drei weiteren Jahren in öffentlichen Krankenhäusern unter Beweis stellen – selbstverständlich weiterhin unter prekären Bedingungen und bei deutlich schlechterer Bezahlung als ihre Kollegen mit französischen Diplomen. Im Anschluss obliegt es einer Kommission, dem Kandidaten die Approbation zu erteilen. Aufgrund des aufwändigen Verfahrens arbeiten daher viele ausländische Ärzte teilweise Jahrzehnte in ausbeuterischen Verhältnissen. Für das französische Gesundheitssystem, das so seinen seit den 80er Jahren durch die Einführung des Numerus Clausus entstandenen Ärztemangel kostengünstig ausgleichen kann, ist das ein durchaus praktikabler Zustand.

Immerhin hat nun die Corona-Epidemie die Arbeitsbedingungen des Krankenhauspersonals in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt, darunter am Rande auch die der ausländischen Ärzte. Dazu beigetragen hat eine an den französischen Premierminister gerichtete Petition des algerischstämmigen Psychiaters Amine Benyamina, in der er die „vollständige Gleichstellung“ der ausländischen Mediziner fordert, die derzeit die französischen Coronapatienten behandeln. Der Mut dieser Ärzte, die „an vorderster Front“ stünden, dürfe nicht ohne Anerkennung bleiben, heißt es darin. Die Petition haben bis heute fast 40.000 Personen unterschrieben. Ob es langfristig gelingt, Verbesserungen für die Betroffenen zu erreichen, ist jedoch fraglich. Mit Reformen, die die Situation der Ärzte mit außereuropäischen Diplomen verbessern könnten, scheint man sich derzeit nicht zu beeilen. Seit Monaten warten die Betroffenen auf das eigentlich auf September vorigen Jahres terminierte Inkrafttreten eines neuen Gesetzes, das das Anerkennungsverfahren beschleunigen soll. Bislang vergeblich.

(Julian Bernstein, 22.04.2020)

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