Von Julian Bernstein, Paris, 30. April 2020 / Dokument als PDF
Der französische Virologe Didier Raoult hat mit zweifelhaften Methoden eine globale Hysterie um den Wirkstoff Hydroxychloroquin entfacht.
Bevor Donald Trump auf die Idee kam, Corona-Kranke mit Desinfektionsmittel und UV-Licht zu behandeln, empfahl er der Welt ein anderes potentielles Wundermittel: Am 21. März verkündete er auf Twitter, das Malariamittel Hydroxychloroquin hätte das Potenzial, einer der größten „game changer in der Geschichte der Medizin“ zu werden. Auch die darauffolgenden Tage wurde er nicht müde, das 80 Jahre alte, unter anderem von Bayer und Sanofi produzierte Medikament anzupreisen. Die Behandlungsergebnisse mit dem Mittel, das unter anderem dafür bekannt ist, Herzrhythmusstörungen auszulösen, seien „sehr, sehr ermutigend“. Wenig später gab auch die deutsche Regierung bekannt, sich größere Mengen des Medikaments gesichert zu haben. Anfang April machte Bayer zudem publik, die in Europa längst eingestellte Produktion von Hydroxychloroquin wieder aufleben zu lassen.
Zu großen Teilen verantwortlich für den Hype um das von Anfang an umstrittene Medikament ist der eigenwillige französische Virologe Didier Raoult. Der Chef des Instituts für Infektionskrankheiten der Universitätsklinik Marseille sagte am 25. Februar in einem vor Studierenden aufgenommenen Video, es gebe keinen Grund zur Aufregung. Die durch das Coronavirus verursachte Lungenentzündung sei kinderleicht und günstig zu behandeln. Es reichten, wie eine chinesische Studie nahelege, 500 mg Chloroquin. Wenig später, am 16. März, verkündete Raoult in einem weiteren Video stolz die auf den ersten Blick spektakulären Zwischenergebnisse einer eigenen Studie über das Medikament. Spätestens ab da war das weltweite Interesse der sich nach einem Heilmittel sehnenden Öffentlichkeit geweckt.
Raoult ist zu diesem Zeitpunkt kein Unbekannter. In Südfrankreich ist er ein Star. Politiker wie der Bürgermeister in Nice, Christian Estrosi, umgeben sich gerne mit dem 68-Jährigen, der auf seinem Gebiet als Koryphäe gilt. Raoults Account bei Google Scholar listet fast 150.000 Zitate auf – das macht ihn zu einem der meistzitierten Virologen weltweit. Er gilt als der Entdecker des sogenannten Mimivirus, eine Bakteriengattung trägt sogar seinen Namen: die Raoultella. Ebenso berühmt ist Raoult, der sich selbst gerne als „großen Wissenschaftler“ bezeichnet, für seine große Klappe. Der lokalen Tageszeitung Le Provençal sagte er, auf die Beziehung zu seiner Heimatstadt Marseille angesprochen, in der er einst Medizin studierte: „Die Ärzte, mit denen ich damals häufig zusammenkam, wollten alle die besten von Marseille werden. Ich wollte der beste der Welt werden – hier in Marseille.“ Zumindest in seinen Augen dürfte ihm das gelungen sein.
Zu Raoults Selbstvertrauen gesellt sich seine Lust an der Provokation. An der rechten Hand trägt der Virologe mit Vorlieb einen Totenkopfring. Einem Journalisten soll er gesagt haben, er habe sich diesen Look zugelegt, „weil es sie nervt“. Mit „sie“ dürfte das Establishment in Paris gemeint sein, von dem ihn nicht nur sein Aussehen unterscheidet. Auch sein Lebenslauf ist für einen französischen Spitzenwissenschaftler denkbar ungewöhnlich: Raoult, geboren in Dakar als Sohn eines französischen Militärarztes und einer französischen Krankenschwester, gilt als Schulversager und fuhr vor seinem Medizinstudium erst einmal mehrere Jahre zur See.
Das von ihm selbst eifrig kultivierte Außenseiterimage unterstreicht der Wissenschaftler auch gerne durch steile Thesen. In seiner regelmäßigen Kolumne in dem konservativen Wochenmagazin Le Point kündigte er in den vergangenen Jahren mehrmals das Ende der Klimaerwärmung an – angesichts weiterhin steigender Temperaturen ohne Erfolg. Auch in der Corona-Krise lag er bereits des Öfteren daneben: Am 21. Januar bezeichnete er die Verunsicherung angesichts der in China aufziehenden Epidemie als „irre“. „Es sterben drei Chinesen, und schon gibt es eine weltweite Warnung“, echauffierte sich der Virologe. „Das alles ist verrückt.“
Mit Unverständnis reagierte Raoult ebenso auf die Tatsache, dass seine spätere Empfehlung, Coronapatienten Hydroxychloroquin zu verabreichen, lediglich auf ein gemischtes Echo stieß. An seiner in Rekordzeit am 20. März veröffentlichten Studie ließen Ärzte und seine Forscherkollegen kaum ein gutes Haar. Es gebe keine Kontrollgruppe, darüber hinaus habe Raoult einen Todesfall und drei schwere Verläufe aus dem Datensatz entfernt, so die Vorwürfe. Auch der Veröffentlichungsort, die Zeitschrift International Journal of Antimicrobial Agents, macht stutzig. Chefredakteur des Journals ist Jean-Marc Rolain – ein Mitarbeiter Raoults aus Marseille und zudem auch noch Co-Autor des Artikels.
Dass das von Raoult angepriesene Hydroxychloroquin trotz der Missachtung grundlegender wissenschaftlicher Standards dennoch weltweit als Heilmittel gehandelt wurde, dürfte der Virologe einer sonderbaren Allianz aus seinen Politikerfreunden aus Marseille, die ihn regelmäßig im Fernsehen verteidigen, und seinen Tausenden Fans in den sozialen Netzwerken zu verdanken haben. In mitgliederstarken Facebook-Gruppen wie „Didier Raoult Vs Coronavirus“ wird er wie ein Guru verehrt. „Raoult ist der einzige Forscher auf der Welt, der einen Plan hat, der uns retten kann“, steht in der Gruppenbeschreibung. Jedes von Raoult veröffentliche Video, in dem ihm ein Mitarbeiter stets devote Fragen stellt, wird von seinen Anhängern wie eine Offenbarung gefeiert. Kritik an der Wirksamkeit von Hydroxychloroquin wird von seinen Fans gerne als eine angebliche Verschwörung der Pharmalobby abgetan, die die Verwendung eines verhältnismäßig günstigen Medikaments gemeinsam mit dem Establishment in Paris torpedieren wollte. Seine Anhängerschaft in der Bevölkerung hatte zeitweilig derartige Proportionen erreicht, dass sich sogar Macron Anfang April gezwungen sah, dem Guru in Marseille einen Besuch abzustatten. Man schließe keine Behandlungsmethode aus, so der Präsident.
Mittlerweile ist der Hype um Hydroxychloroquin jedoch deutlich abgekühlt. Mehrere neue Studien bezweifeln die Wirksamkeit des Medikaments, dessen fatale Nebenwirkungen bislang Dutzenden Coronapatienten das Leben gekostet haben. Den harten Kern seiner Anhänger und vor allem Didier Raoult selbst scheint das nicht zu stören. In einem am 28. April veröffentlichen YouTube-Video bezeichnet er die Kritik an seinen Empfehlungen als von den Medien geschürten „Wahnsinn“. Es reiche, einen x-beliebigen Arzt zu fragen, um zu wissen, dass Hydroxychloroquin harmlos sei. Das Video verzeichnet bereits jetzt mehr als eine Million Aufrufe.
(Julian Bernstein, 30.04.2020)
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