Von Julian Bernstein, Paris, 16. April 2020 / Dokument als PDF
Die Fernsehansprachen des französischen Präsidenten wirken wie aus der Zeit gefallen.
Wenn Emmanuel Macron sich per Fernsehansprache an sein Volk wendet, sind das Ereignisse von nationaler Bedeutung. Schon Tage vor den Stellungnahmen wird in den Medien wild spekuliert, was der Staatschef seinen „chers compatriotes“ wohl verkünden könnte. Das große Interesse an den Reden, deren Inszenierung wie aus der Zeit gefallen scheint, ist durchaus berechtigt. Denn sie sind nicht nur politisches Beiwerk zur Erklärung der ein oder anderen Maßnahme. Macron verkündet in diesen vor Pathos triefenden Ansprachen politische Entscheidungen von höchster Tragweite – diesmal unter anderem die Verlängerung der allgemeinen Ausgangssperre bis zum 11. Mai. Während man in Deutschland derartige Entscheidungen auf profanen Pressekonferenzen bekannt gibt, auf der Journalisten im Nachhinein immerhin die ein oder andere kritische Frage stellen dürfen, überlässt man in Frankreich nichts dem Zufall. Macrons Fernsehansprachen – der Tonfall, die Sprache, die Sprechhaltung –, sind generalstabsmäßig geplant. Der frühere Le Monde-Journalist und Gründer der kritischen Online-Zeitung Mediapart, Edwy Plenel, verglich sie kürzlich mit einer einstudierten Theaterperformance.
Die Erfolge der Macron’schen Kommunikationsstrategie sind durchaus beachtlich. Am Montagabend saßen 36,7 Millionen Franzosen vor ihren Bildschirmen, um der Rede des Präsidenten, die traditionell von ein paar Takten der Marseillaise eingeleitet wird, zu lauschen. Allein schon aus der schieren Masse der Zuschauer entfalten diese Ansprachen eine enorme diskursive Wirkung. Ein Geniestreich war es etwa, den Franzosen in diesen Fernsehauftritten immer wieder einzubläuen, sie befänden sich im Krieg – ein Narrativ, das sich bestens dazu eignet, die eigene Verantwortlichkeit für die mangelhafte Krisenvorsorge zu kaschieren. Statt unterfinanzierter Krankenhäuser und zu spät getroffener Eindämmungsmaßnahmen, ist dieser Interpretation zufolge nun ausschließlich „der unsichtbare Feind“ für die Situation verantwortlich. Das Krankenhaus wird so zur Front und das Personal zu Soldaten, von denen im Kampf gegen diese unerwartete Heimsuchung Aufopferungsbereitschaft erwartet wird. Nach Macrons Rede vom 16. März war das Kriegs-Narrativ aus dem öffentlichen Diskurs nicht mehr wegzudenken. Kurioserweise kam auch das Krankenhauspersonal selbst, wenn es in den letzten Wochen darum ging, die Zustände in den Kliniken öffentlich anzuprangern, in den seltensten Fällen ohne Kriegsmetaphern aus. Immer wieder beklagten sich Ärzte, dass sie ohne ausreichendes Schutzmaterial an die „Front“ geschickt würden, ohne zu merken, dass sie dabei der Strategie von Macrons Kommunikationsberatern auf den Leim gingen. Die Identifikation des Krankenhauspersonals mit Soldaten hat mittlerweile geradezu absurde Ausmaße angenommen. Kürzlich forderten 40 Abgeordnete der Nationalversammlung gar, den an Covid-19 verstorbenen Ärzten den eigentlich gefallenen Soldaten vorbehaltenen Status „gestorben für Frankreich“ zuzugestehen. Das medizinische Personal sei bereit, sein Leben für das französische Volk zu opfern, heißt es in einem gemeinsamen Brief an den Gesundheitsminister.
Der Präsident und sein engster Zirkel sind zudem Meister darin, den Metaphern ganz reale Bilder folgen zu lassen. Dass Macron seiner Kriegsrede gleichzeitig auch die Mobilisierung der Armee, unter anderem das Aufstellen eines Feldlazaretts in Mulhouse, angekündigt hat, ist kein Zufall. Das kleine Lazarett war im Kampf gegen das Virus nicht der große Wurf. Es dürfte vor allem dem Zweck gedient haben, Macron nach seiner Rede die benötigten Bilder zu garantieren – einen ernst dreinblickenden Staatschef umringt von Soldaten in Tarnuniform.
In seiner jüngsten Rede schlüpfte Macron nun in eine andere Rolle. Jetzt, da sich bei den Franzosen eine gewisse Katastrophenmüdigkeit einstellt und die ökonomischen Folgen der Krise spürbar werden, gab sich der Präsident als Kümmerer. Man darf davon ausgehen, dass Macron der Öffentlichkeit auch zur Illustration dieser neuen Rolle die geeigneten Bilder präsentieren wird.
(Julian Bernstein, 16.04.20)
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