Von Julian Bernstein, Paris, 18. Mai 2020 / Dokument als PDF
Auch nach Einführung der Lockerungsmaßnahmen ist in Frankreich die Bewegungsfreiheit eingeschränkt.
Seit einer Woche hat Frankreich nun die Corona-Maßnahmen deutlich gelockert. Nach fast zwei Monaten Lockdown sind die Geschäfte größtenteils wieder offen, die Straßen ungewohnt voll, sogar Waldspaziergänge sind, wer hätte das geglaubt, endlich wieder erlaubt. Wer auf die Straße geht, braucht auch keine Ausgangsbescheinigung mehr – für meine Frau und mich ein ungeahntes Gefühl von Freiheit. Von Normalität ist das Land dennoch weit entfernt. Noch immer befinden sich 2087 Corona-Patienten auf den Intensivstationen – in Deutschland mit circa 1300 sind es deutlich weniger. Dementsprechend zurückhaltender sind auch die Lockerungen. Von geöffneten Bars, Restaurants, Cafés und Kinos können die Franzosen bislang nur träumen. Immerhin in einigen Départements sollen ab dem 2. Juni, sofern alles gut geht, Restaurants und Cafés wieder öffnen dürfen. Entgegen seiner zentralistischen Tradition hat Frankreich sich dazu durchgerungen, die Lockerungen nicht überall zeitgleich einzuführen. Départements, in denen das Coronavirus weitgehend zurückgedrängt ist, werden auf einer kürzlich der Öffentlichkeit präsentierten Übersichtskarte grün markiert, Départements, in denen das Virus weiterhin verbreitet ist, sind rot.
In den „roten“ Départements – in der Großregion Paris, in Nordostfrankreich sowie dem Übersee-Département Mayotte – gelten etwas strengere Regeln. Wann hier die Restaurants und Cafés öffnen dürfen, ist nicht abzusehen. Dafür müssten die Départements erst einmal auf grün wechseln. Auch gibt es, was die Wiedereröffnung der Schulen angeht, Unterschiede: Collèges (Sekundarstufe I) bleiben in den roten Départements vorerst geschlossen. Interessant ist übrigens, dass Frankreich bei der Wiedereröffnung der Schulen, Kindergärten und -krippen im Vergleich zu Deutschland den umgekehrten Weg geht: Denn Kindergärten- und krippen wurden als erstes und zwar überall wieder aufgemacht – auch in den „roten“ Départements. Die Lycées, also die Gymnasien, hingegen bleiben dicht.
Die wohl härteste Beschränkung betrifft allerdings „rote“ und „grüne“ Départements gleichermaßen: Auch nach fast acht Wochen Lockdown bleibt die Bewegungsfreiheit weiterhin eingeschränkt. Die Franzosen sind angehalten, sich lediglich innerhalb ihres Départements aufzuhalten. Für uns hat das die Konsequenz, dass wir – da wir außerhalb des Autobahnrings wohnen – nicht in die Pariser Innenstadt dürfen. Freunde treffen? Bis jetzt ist das also kaum möglich. Auch in unserem Alltag können wir die Pandemie schwerlich verdrängen. Ähnlich wie in Deutschland sind auch die Gesichtsmasken in den öffentlichen Verkehrsmitteln Pflicht. Hinzu kommen permanente Durchsagen an den Haltestellen: „Respectez les gestes barrières !“ Frei übersetzt: „Achten Sie auf die Hygienemaßnahmen!“ Um einen ausreichenden Abstand zwischen den Passagieren zu gewährleisten, ist zudem ein Großteil der Sitze gesperrt.
Ähnliche Maßnahmen gibt es auch in den großen Einkaufszentren. Dort sollen auf den Boden geklebte Pfeile die Besucherströme lenken. Bis heute sind jedoch die meisten der großen Shoppingmalls geschlossen. Wann sie geöffnet werden, entscheiden die jeweiligen Präfekten. Bis in dem Land so etwas wie Normalität einkehrt, dürfte noch eine Weile vergehen.
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